8. Folge der Podcast-Reihe „Regionalgeschichte auf die Ohren“: „Die britischen Soldaten sind weitestgehend unter sich geblieben“
• 0:04 - 0:40
Kathrin Nolte: Regionalgeschichte auf die Ohren. Liebe Hörerinnen und Hörer, herzlich willkommen zur achten Folge der Podcast-Reihe „Regionalgeschichte auf die Ohren“. Dieses Mal sprechen wir über den Abzug des britischen Militärs aus Westfalen. Mein Name ist Kathrin Nolte und ich bin im LWL-Institut für die Presse und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Mein Interviewpartner Dr. Thomas Küster arbeitet als wissenschaftlicher Referent in der LWL-Forschungseinrichtung. Fast 70 Jahre lang haben die britischen Streitkräfte Gebiete in Westfalen als militärische Stützpunkte genutzt.
• 0:40 - 1:18
Diese langjährige Anwesenheit des britischen Militärs in der Region steht für eine weltgeschichtlich ausgesprochen seltene Konstellation: Für den allmählichen Rollenwechsel vom Status einer Armee, die ursprünglich als Besatzungsarmee angetreten ist, zu einem militärischen Partner der Stationierung des Landes. Auch die Größenordnung dieser Stationierung war und ist beachtlich. Zwischen 1945 und heute lebten mindestens 800.000 britische Soldaten einschließlich der Familienangehörigen in Westfalen und wahrscheinlich noch mal 1,2 Millionen im benachbarten Rheinland und in Niedersachsen.
• 1:19 - 1:33
Im Jahr 2010 kündigte die Regierung Cameron den vollständigen Abzug des britischen Militärs an, der 2020 abgeschlossen sein soll. Herr Küster, warum war Westfalen als Standort für das britische Militär von Bedeutung?
• 1:35 - 2:10
Thomas Küster: Westfalen war Teil der britischen Besatzungszone. Das hat für die Briten natürlich manches schon mal erleichtert. Und Westfalen hatte außerdem noch den Vorteil, dass es über einige Liegenschaften der Wehrmacht verfügte, die zum Teil aber auch schon aus preußischer Zeit stammten, zum Beispiel eben Kasernen, einige Flugplätze. Und ein unglaublicher Vorteil: Es gab in Westfalen ein sehr großes Übungsgelände, die Senne.
• 2:11 - 2:48
Und auf diesem Übungsgelände konnte man insbesondere mit schwerem Gerät sehr gut trainieren. Zum Beispiel mit diesen Panzereinheiten, die unglaublich viel Gelände brauchen. Und dafür war die Senne prädestiniert. Es kamen dann schließlich noch hinzu, das ist sozusagen immer militärstrategisch von Bedeutung, dass Westfalen relativ nah an der deutsch-deutschen Grenze liegt. Und das war eben in der Zeit des Kalten Krieges eine NATO-Grenze, eine Grenze zwischen zwei militärischen Blöcken.
• 2:48 - 2:57
Und aus diesem Grund hat eben auch in der Region Westfalen eine unglaubliche
Truppen-Konzentration stattgefunden.
• 2:58 - 3:11
Kathrin Nolte: Wie sah denn das Zusammenleben zwischen Deutschen und Briten ganz konkret aus in den vergangenen 70 Jahren also hat sich das entwickelt? Sind auch Freundschaften entstanden? Wie kann man das umschreiben?
• 3:13 - 3:43
Das Zusammenleben war vielleicht nicht so intensiv, wie man sich das vorstellt oder sich das auch manche erhofft haben. Das hing unter anderem damit zusammen, dass das britische Militär doch weitgehend unter sich geblieben ist. Das ist nicht so ungewöhnlich, das ist fast bei allen militärischen Einrichtungen so. Das Militär trennt sich vom zivilen Leben etwas ab, will unter sich bleiben, weil es auch eine eigene Infrastruktur aufbauen will.
• 3:43 - 4:20
Das ist denen einfach sympathischer und sicherer, als wenn sie sich auf zivile Ressourcen verlassen müssten. Und was die Briten in Nordwestdeutschland gemacht haben an Infrastruktur, das ist schon immens gewesen. Das ging auch wesentlich über das hinaus, was in anderen Stationierungsländern üblich ist, weil eben ein riesengroßes Kontingent der britischen Armee hier stationiert war. Etwa ein Drittel der gesamten britischen Streitkräfte war eben über vier, fünf Jahrzehnte hinweg in Deutschland angesiedelt.
• 4:20 - 4:53
Und was die an Infrastruktur gemacht haben, also das reicht ja von Schulen, Kirchen, Radiosendern und Fernsehsendern, eigenen Supermärkten bis hin zu einer eigenen Fluglinie. Ja, es waren ja unglaublich viele Familienangehörige auch mit im Land. Und die mussten immer geholt und wieder zurückgebracht werden, sodass mindestens einmal pro Woche ein Passagier-Jet, ein ziviler Passagier-Jet zurückflog nach Großbritannien, um die Leute zu holen oder zu bringen.
• 4:53 - 5:26
Und eine eigene Eisenbahnlinie hatten die Briten auch nach Berlin nämlich. Das macht man sich gar nicht so klar auf deutscher Seite. Ansonsten war das Zusammenleben eben auch dadurch gekennzeichnet, dass viele Briten, die hier stationiert waren, die deutsche Sprache nicht beherrschten. Das waren nur ganz wenige, die Deutsch konnten, obwohl es Versuche gegeben hat, seitens der Militärführung Sprachkurse anzubieten und die Leute zu animieren, doch auch die deutsche Sprache zu erlernen.
• 5:28 - 5:59
Also das hat mit dazu beigetragen, dass es nur relativ wenige Kontakte vonseiten der Briten zu den Deutschen gegeben hat. Es hat natürlich offizielle Treffen gegeben. Das sind aber meistens dann die führenden Offiziere gewesen, die sich mit den Bürgermeistern und den Stadtoberen oder irgendwelchen Vereinsvorsitzenden getroffen haben. In der Breite ist das eher schwach ausgeprägt gewesen und es gab auch von deutscher Seite aus nicht so das große Interesse, mit den Briten in Kontakt zu treten.
• 5:59 - 6:09
Die Leute, die an kulturellen Kontakten interessiert waren auf deutscher Seite, die hatten meistens ein Problem mit dem Militär und haben deshalb den Kontakt nicht so gesucht.
• 6:10 - 6:42
Kathrin Nolte: Also kann man auch sagen […] oder können Sie noch mal ein bisschen beschreiben, wenn es Kontakte gab, welcher Art das war? Sie haben es gerade schon ein bisschen angerissen, dass es, wenn eher auf offizieller Ebene war. Das heißt jetzt, ich als normale deutsche Bürgerin bin ja auch wahrscheinlich gar nicht auf die Gelände gekommen, die die bewirtschaftet und bewohnt haben. Also können Sie es noch etwas näher definieren, wie die Kontakte aussahen? Oder auch noch dazu gefragt, wie sich das vielleicht auch entwickelt hat?
• 6:42 - 6:51
Ich meine in der Nachkriegszeit, dass das vielleicht noch etwas anders war als jetzt in den vergangenen zehn Jahren. Kann man da so eine Entwicklung aufzeigen?
• 6:53 - 7:26
Thomas Küster: Die engsten Kontakte hatten sicherlich Ehepartnerin und Ehepartner und die Zivilangestellten, die auch in großem Umfang […] Man schätzt, dass in Nordrhein-Westfalen etwa 10.000 Zivilbeschäftigte für die Briten gearbeitet haben. Also diese beiden Gruppen, Ehepartner und Zivilbeschäftigte hatten sicherlich den engsten Austausch und engsten Kontakt mit den britischen Soldaten und Soldatinnen. Es hat sich aber auch einiges entwickelt und verbessert.
• 7:26 - 7:59
Zum Beispiel hat sich das britische Militär im Laufe der Zeit auch geöffnet gegenüber der deutschen Öffentlichkeit. Das hatte verschiedene Gründe. Es gab natürlich auch Konflikte. Insbesondere um das Thema Lärm, der seitens der Briten vor allen Dingen eben in der Nähe der Flughäfen, durch die Startenden und Landenden Flugzeuge und die Tiefflüge hervorgerufen wurde. Aber auch weiter entfernt von den Flughäfen, da wo gepanzerte Einheiten stationiert waren.
• 7:59 - 8:28
Die machten auch einen Höllenlärm und es gab einige Kasernen, die mitten im Stadtgebiet lagen. Das haben die Anwohner dann schon massiv mitbekommen. Und um da die Situation etwas zu entspannen und auch etwas dagegen zu tun, dass dieses Militär auf die deutsche Öffentlichkeit einfach wie eine Blackbox wie ein unbekanntes Wesen wirkte, hat man dann schon gelegentlich mal einen Tag der offenen Tür gemacht oder Flugschauen veranstaltet.
• 8:28 - 8:59
Zwei, dreimal sehr große Flugschauen, die unglaublich populär waren und Tausende Zuschauer angelockt haben. Das hat man gemacht und das hat sich insofern auch etwas geändert und entspannt. Ja, dann wurde auch sehr viel unternommen, um möglichen Konflikten schon im Vorfeld entgegenzuwirken. Es hat Gespräche gegeben, es hat Beschwerdetelefone gegeben, die die Briten selber eingerichtet haben, falls es mal zu laut war. Und dann haben sie versucht, etwas dagegen zu unternehmen.
• 9:00 - 9:10
Kathrin Nolte: Und wie kann man das resümieren? Wo und in welchem Umfang sich die Briten und die Deutschen in ihrer Kultur und halt auch in ihrer Alltagskultur beeinflusst haben?
• 9:13 - 9:48
Thomas Küster: Also der kulturelle Einfluss der Briten ist auf die deutsche Kultur und auch umgekehrt, der ist nicht so besonders groß gewesen. Das ist ganz anders, als es zum Beispiel mit dem amerikanischen Einfluss insbesondere in Süddeutschland, aber auch für die ganze Bundesrepublik gewesen ist. Die Amerikaner hatten sehr viel bessere Voraussetzungen, also die Konsumgewohnheiten, die ganze Musik und Filmproduktion und auch der American Way of Life.
• 9:48 - 10:29
Das konnte sehr viel besser bei den Deutschen verfangen als zum Beispiel die britische Rock- und Popkultur, die es natürlich auch gab. Aber die wurde nicht so sehr über das britische Militär in die deutsche Kultur hinein transportiert, auch wenn man das gelegentlich hört. Aber dieser britische Soldatensender, den es gab, den haben gar nicht so viele Deutsche gehört. Wenn es britischen Einfluss auf die deutsche Kultur gab, dann ist das eher durch andere europäische Radiosender vermittelt worden oder auch durch die Clubs, die sich vielfach gegründet haben, aber die oft eben von deutschen Betreibern begründet worden sind.
• 10:30 - 11:09
Und also da hatten es die Briten einfach auch schwerer, kann man vielleicht sagen. Während das amerikanische Militär mit Elvis Presley Werbung machen konnte, den sie sozusagen in der G.I. Uniform gezeigt haben und auch immer wieder abgebildet haben, hatten es die Beatles und die Stones nicht so mit dem Militär. Die haben eher an Anti-Kriegs-Demonstrationen teilgenommen und für Abrüstung sich stark gemacht und von daher musste sozusagen der britische Kultureinfluss auf einem anderen Wege dann kommen.
• 11:11 - 11:47
Das Militär hat, man sieht es auch bei Sportveranstaltungen oder Sportarten, das politische Militär hat hier in Deutschland auch seinen Sport betrieben. Cricket zum Beispiel, diese Sportart, deren Regeln auf dem Kontinent kaum einer versteht. Aber dabei sind sie immer unter sich geblieben und deutsche Teilnehmer hat es da gar nicht gegeben. Und darum gibt es kein Cricket in der Bundesrepublik. Oder es gibt Cricket, aber diese Sportart betreiben dann Menschen, die aus früheren Commonwealth-Ländern kommen und die es da gelernt haben.
• 11:47 - 11:49
Jedenfalls nicht hier im Umfeld des Militärs.
• 11:50 - 11:58
Kathrin Nolte: Jetzt sind die Briten bald weg. Was für Folgen hat denn der Britenabzug speziell für Westfalen?
• 12:00 - 12:40
Thomas Küster: Sehr unterschiedliche. Also es wird weniger Lärm geben, es wird weniger Kaufkraft geben, es wird, das ist sehr bedauerlich für die gelben Blätter auch seltener Besuche des englischen Königshauses geben, weil die haben regelmäßig ihre Truppen hier in Westfalen besucht. Die Folgen sind unterschiedlich, eben. Die Regionen, die ohnehin strukturschwach sind und die zum Teil auch davon gelebt haben oder profitiert haben, dass das dort stationierte britische Militär konsumiert hat und Geld ausgegeben hat.
• 12:40 - 13:15
Die haben ja auch viele Aufträge erteilt, um Gebäude zu sanieren oder die Soldaten selber haben natürlich auch Autos gekauft oder Möbel gekauft. Das alles trifft strukturschwache Regionen natürlich sehr hart. Andererseits gibt es dynamischere Regionen in Westfalen, vor allem auch große Städte, die natürlich davon profitieren, wenn jetzt große Kasernen-Areale freigegeben werden, die also schon darauf warten.
• 13:16 - 13:53
Inzwischen ja auch schon seit 20 Jahren, dass sie etwas Neues mit diesem Gelände anfangen können, zum Beispiel Wohnungen da errichten können, Gewerbe dort ansiedeln könnten oder auch Freizeiteinrichtungen betreiben können dort. Also von daher waren die Reaktionen auf den Abzug im Landesteil Westfalen auch sehr unterschiedlich. Ganz unterschiedliche Grade von Betroffenheit und Chancenentwicklung. Und es ist natürlich schade, dass auch viele Freundschaften und Kontakte möglicherweise zu Ende gehen.
• 13:54 - 14:30
Aber es ist wohl so, das kann man nur schätzen, dass etwa 40.000 Britinnen und Briten auch im Land bleiben, überwiegend solche, die eben mit deutschen Partnerinnen und Partnern verheiratet sind. Aber das trägt dazu bei, dass doch etwas nachwirkt von dieser Stationierungszeit. Und mir scheint, dass auch die westfälischen Kommunen, also die Standorte zumindest das jetzt in ihre Erinnerungskultur aufnehmen und zum Teil auch in ihre Geschichtsarbeit einfließen lassen.
• 14:31 - 15:05
Da bleibt also etwas von Dauer. Man muss sehen, das Militär hat immer etwas Ambivalentes. Es kann Krieg führen, es kann aber auch Frieden sichern, es kann Umwelt zerstören, es kann aber auch Natur erhalten. Das sieht man jetzt zum Beispiel auf dem Truppenübungsplatz in der Senne, wo eben relativ selten oder nur in bestimmten Abschnitten das Militär geübt hat. Und darum herum hat sich also eine ganz tolle Flora und Fauna entwickelt, die ja auch erhalten werden soll.
• 15:05 - 15:22
Und das wissen gerade jetzt Biologen sehr zu schätzen. Und das Militär kann eben, wenn es abgezogen wird oder, wenn demilitarisiert wird, sozusagen auch Leerstellen und Verluste hinterlassen. Es kann aber auch neue Chancen und Perspektiven entwickeln.
• 15:23 - 15:34
Kathrin Nolte: Dann gucken wir mal, wo die Reise in den nächsten Jahren hingeht. Vielen Dank für das Gespräch.
Thomas Küster: Gerne.