Transkript anzeigen Abspielen Pausieren

5. Folge der Podcast-Reihe „Regionalgeschichte auf die Ohren“: „Der Ruhraufstand war eine direkte Reaktion auf den Putsch in Berlin“

• 0:00 - 0:35

Kathrin Nolte: Sie hören den Podcast des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte. In dieser Folge sprechen wir über das Buch „Republik im Bürgerkrieg. Kapp-Putsch und Gegenbewegung an Ruhr und Lippe 1919/20“. Wer sind wir? Mein Name ist Kathrin Nolte und ich bin im Institut für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Mein Interviewpartner Prof. Dr. Rainer Pöppinghege ist Historiker und Autor der Publikation. Die Konflikte der jungen Weimarer Republik wurden sowohl in der Parlamentarischen Versammlung als auch auf der Straße mit der Waffe in der Hand ausgetragen.

• 0:35 - 0:51

Sie eskalierten bis zum Bürgerkrieg. Im März 1920 schlossen sich im östlichen und im rechtsrheinischen Ruhrgebiet die Gegner der antirepublikanischen Putschisten um Kapp und Lüttwitz zusammen. Herr Pöppinghege, wie kam es zu diesem Ruhraufstand?

• 0:52 - 1:25

Rainer Pöppinghege: Der Ruhraufstand war eine direkte Reaktion auf den Putsch in Berlin, also den Kapp-Lüttwitz-Putsch, wie wir ihn heute nennen. Damals versuchten die Putschisten die Regierung Bauer abzusetzen. Der gelang die Flucht über Dresden nach Stuttgart. Aber es war auf jeden Fall eine sehr unklare Situation. Daraufhin riefen die Gewerkschaften und Sozialdemokraten zum Generalstreik auf, der auch von vielen Millionen Arbeitern und Angestellten befolgt wurde.

• 1:26 - 1:59

Es herrschte in der Arbeiterschaft ein durchaus berechtigtes Misstrauen gegenüber der Reichswehr und den Freikorps und anderen Sicherheitskräften, sodass sich diese dann parallel damit auch gleichzeitig noch bewaffneten. Es waren ja nach dem Krieg noch sehr viele Waffen im Umlauf. Man hatte ja noch nicht so richtig demobilisiert und daher waren diese Waffen vor allem im Ruhrgebiet dann auch vorhanden in Arbeiterhänden. Der konkrete Anlass war, dass Freikorps-Einheiten bei Wetter an der Ruhr auftauchten, die sich als Kapp-Sympathisanten zu erkennen gaben.

• 2:00 - 2:38

Also sowohl die Reichswehr als auch die Freikorps standen zumindest gefühlt auf der Seite der Putschisten in Berlin. In Westfalen war das nicht ganz anders, obwohl also keine klare Sympathie zu erkennen war. Aber in diesem Fall war es so, dass sich aus diesem ersten kleinen Scharmützel, was dann auch durchaus Tote und Verletzte forderte, verschiedene Gefechte anschlossen in den nächsten Tagen und sich die Kampfhandlungen in nordwestlicher Richtung von der Ruhr bis an die Lippe und den Rhein erstreckten.

• 2:38 - 2:49

Und am Ende dieser Entwicklung hatten die Arbeiter militärischen Erfolg errungen, hatten immer mehr Waffen an sich gezogen und hatten im Prinzip das ganze Ruhrgebiet unter ihre Kontrolle gebracht.

• 2:50 - 2:52

Kathrin Nolte: Welche Ziele verfolgt denn die Rote Ruhrarmee?

• 2:53 - 3:34

Rainer Pöppinghege: Ja, die Rote Ruhrarmee war keinesfalls eine homogene Formation. Es waren unterschiedliche sozialistische Strömungen in ihr vereinigt, zuerst auch Sozialdemokraten, gemäßigte Sozialdemokraten, aber auch Kommunisten oder Anarchisten, Syndikalisten. Das heißt, es gab auch zunächst mal das defensive Ziel, den Putsch in Berlin abzuwehren und die Verantwortlichen zu bestrafen, zur Rechenschaft zu ziehen und aus ihren Funktionen zu entfernen. Manche in der Roten Ruhrarmee hatten dann allerdings auch offensivere Ziele im Sinne einer Weiterführung der Novemberrevolution von 1918 im sozialistischen Sinne.

• 3:34 - 4:06

Das hieß, sie wollten die Sozialisierung von Schlüsselindustrien betreiben, bessere Arbeitsbedingungen erkämpfen und auch gesetzliche Mitsprache haben bei verschiedenen Initiativen. Und wir können da eine starke Radikalisierungstendenz nach einigen Tagen auch beobachten. Nach der Beendigung des erfolgreichen Generalstreiks war für viele Sozialdemokraten klar, dass diese Rote Ruhrarmee jetzt die Waffen abzulegen hatte und die Leute wieder an ihre Arbeit gehen sollten.

• 4:07 - 4:25

Das missfiel, aber dann den radikalen Kräften und die Moderaten traten aus der Ruhrarmee aus, zu einem großen Teil nicht alle, sodass also diese Radikalisierungstendenz dann auch dazu führte, dass sich die Fronten verhärteten im wahrsten Sinne des Wortes.

• 4:26 - 4:38

Kathrin Nolte: Der Putsch ist gescheitert und wie wurde er denn im weiteren Verlauf aufgearbeitet? Auch von Seiten aus Berlin, was ja durchaus von Westfalen oder vom Ruhrgebiet durchaus weiter weg ist.

• 4:39 - 5:16

Rainer Pöppinghege: Aber es war schon deutlich zu sehen, wie man mit den Putschisten, also Kapp, Lüttwitz und so weiter umzugehen gedachte. Insbesondere die Verantwortlichen vor Ort wurden von der Justiz kaum zur Rechenschaft gezogen. Also die Morde, die von den Freikorps und Reichswehr-Einheiten verübt worden sind, an Zivilisten, aber auch an Rotgardisten, die wurden höchst unzureichend geahndet. Die Leute, die sich offensiv für Kapp und Lüttwitz eingesetzt hatten, verloren zum Teil ihre Ämter, wenn es sich um Behördenleiter handelte.

• 5:16 - 5:35

Das war allerdings hier in Westfalen und im Rheinland im Westen insgesamt nur in äußerst wenigen Fällen so. Die meisten Unterstützer fanden Kapp und Lüttwitz in den östlichen Gebieten, also östlich der Elbe. Von daher kann man von einem Ost-West-Gefälle in diesem Sinne sprechen.

• 5:37 - 5:51

Kathrin Nolte: Sie bündeln in dem Buch die ideologisch aufgeladene Gewaltgeschichte im Westen und verknüpfen Sie gleichzeitig mit den Geschehnissen im gesamten Deutschen Reich. Warum ist die regionalhistorische Gesamtperspektive auch 100 Jahre nach diesen gewaltsamen Ereignissen so wichtig.

• 5:52 - 6:23

Rainer Pöppinghege: Also die Ereignisse hier vor Ort im Ruhrgebiet, aber auch Drumherum, es ist übrigens ganz wichtig, dann auch die ländlichen Gebiete, das Münsterland, das Sauerland mit einzubeziehen, das Bergische Land. Also diese gesamte Region hat damals im Zentrum des politischen Handelns, auch der Perspektive aus Berlin gestanden. Die Regierung hatte sich da sehr stark mit beschäftigt oder musste sich damit beschäftigen, weil hier der größte Aufstand und der größte Bürgerkrieg herrschte.

• 6:24 - 6:34

Es gab zwar auch noch in Mitteldeutschland und auch in und um Berlin Auseinandersetzungen, aber vom Ausmaß her waren die hier in Westfalen doch am größten.

• 6:35 - 6:39

Kathrin Nolte: Und es waren auch die letzten Kampfhandlungen sozusagen vor dem Zweiten Weltkrieg oder?

• 6:40 - 7:14

Rainer Pöppinghege: Ja, und es war natürlich dann in dem Sinne auch das letzte Mal, dass die Reichswehr oder überhaupt das Militär im Inneren eingesetzt wurde, um Polizeiaufgaben zu übernehmen. Das ist dann noch mal in den 60er Jahren bei der Diskussion um die Notstandsgesetze aufgeflammt. Also der Ruhraufstand hat tausend Tote aufseiten der Arbeiterschaft gefordert. Man spricht so von 500 umgekommenen Angehörigen von Reichswehr und Freikorps und 80 getöteten Zivilisten, wobei ich die Zahl für vielleicht noch ein bisschen zu niedrig ansetze.

• 7:15 - 7:20

Aber es ist wie gesagt ein sehr bedeutendes Ereignis gewesen.

• 7:21 - 7:29

Kathrin Nolte: Wenn man jetzt aus heutiger Perspektive darauf zurückblickt. Wodurch ist die heutige Erinnerungskultur an den Ruhrkampf geprägt?

• 7:29 - 8:04

Rainer Pöppinghege: Also ich stelle zunächst fest, dass es ein relativ geringes Wissen außerhalb des Ruhrgebiets über diese Ereignisse gibt. Im Ruhrgebiet ist es anders an den ehemaligen Schauplätzen. Da stehen Denkmäler, da gibt es Gedenkveranstaltungen an Jahrestagen. Die werden häufig organisiert von Gruppen, die sich in gewisser Weise in der Tradition der Arbeiter sehen oder mit ihnen verbunden fühlen, also Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, aber auch Grüne, die eben dafür eintreten, diese Erinnerungskultur aufrecht zu erhalten.

• 8:04 - 8:06

Kathrin Nolte: Okay, vielen Dank für das Gespräch.

• 8:07 - 8:07

Rainer Pöppinghege: Sehr gerne.