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4. Folge der Podcast-Reihe „Regionalgeschichte auf die Ohren“: „Man hat alles getan, um die Taten zu verschleiern“

• 0:00 - 0:32

Kathrin Nolte: Sie hören den Podcast des LWL-Instituts für westfälische Regionalgeschichte. In dieser Folge sprechen wir über die Mordaktionen der Waffen-SS und Wehrmacht im sauerländischen Warstein, Eversberg und Suttrop am Ende des Zweiten Weltkriegs. Wer sind wir? Mein Name ist Kathrin Nolte und ich bin im Institut für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Mein Interviewpartner Dr. Markus Weidner trägt seit 2017 mit der Erforschung der Ereignisse von 1944 und 1945 maßgeblich zu der wissenschaftlichen Aufarbeitung bei.

• 0:33 - 0:45

In Kooperation mit der LWL-Archäologie für Westfalen fanden im Herbst 2018 und im Frühjahr 2019 mehrere Grabungen an den damaligen Tatorten statt. Was haben Sie dort gefunden, Herr Weidner?

• 0:45 - 1:27

Markus Weidner: Nun, ein Ziel der Grabungen und archäologischen Sondierungen an den Erschießungsorten war es ja, die Berichte, die wir aus den Prozessakten kennen, die Vernehmungsprotokolle zu verifizieren. Und wir können jetzt sehr schön sehen anhand der Funde, wie diese Taten abgelaufen sind. Wir haben an verschiedenen Orten Patronen gefunden, leere Patronen, also Patronenhülsen, entsprechende Projektile, die zum Teil verformt waren. Wir haben Habseligkeiten gefunden, also die Töpfe, die Messer, Gabel und andere Dinge, die die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in ihrem Alltag verwendet haben.

• 1:27 - 1:36

Wir haben also ganz unterschiedliche Dinge gefunden, die wir diesen einzelnen Taten zuordnen können und die uns dann auch dabei helfen, diese Taten besser zu verstehen und rekonstruieren zu können.

• 1:36 - 1:40

Kathrin Nolte: Was ereignete sich denn in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs im Sauerland?

• 1:41 - 2:12

Markus Weidner: Nun, es waren drei Aktionen, insgesamt drei Erschießungsaktionen, die verübt worden sind von einer gemischten SS- und Wehrmachts-Division. Der sogenannten Division zur Vergeltung, die ab Herbst 44 bis März 45 etwa im Sauerland in Suttrop in einer Grundschule stationiert war. Und man muss das sehen auf dem Hintergrund der militärischen Situation im März 45, die sich mit dem Rheinübergang der Alliierten eklatant zugespitzt hat.

• 2:14 - 3:04

Es fluteten immer mehr Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den zerbombten Unterkünften Richtung ostwärts über R55. Die damalige Reichsstraße 55, heute die Bundesstraße 55. Sie wurden in ihren Unterbringungsorten nicht mehr versorgt, hatten keine Arbeit, versuchten auch den ständigen Tieffliegerangriffen, den Bombenangriffen, die sich ja verstärkten, zu entfliehen. Zogen also nach Osten und in langen Trecks, entweder organisiert oder nicht organisiert, zogen sie in Richtung Sauerland, stauten sich dort, weil unter anderem der Gauleiter von Westfalen-Nord die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, also diese ganzen Flüchtlingstrecks waren auch KZ-Trecks dabei, nicht in den eigenen Bereich lassen wollte.

• 3:04 - 3:52

Und in dieser Situation war es nun fatal, dass diese Division in Suttrop ihr Hauptquartier hatte. Der Befehlshaber dieser Division war niemand Geringeres als Hans Kammler. Der General der Waffen-SS war und SS-Obergruppenführer, der unter anderem auch für die Bauvorhaben der SS, also auch bei Konzentrationslagern der Untertageproduktion zuständig war. Also ein klares nationalsozialistisches Vernichtungsbild hatte. Und der mokierte sich über diese Zwangsarbeiter, sah in ihnen eine Bedrohungssituation für die dörfliche Bevölkerung, unterstellte ihnen Plünderungen oder vermutete nach dem Zusammenbruch, dass sie sich an der deutschen Bevölkerung rächen würden.

• 3:53 - 4:30

Kurzum, er beschloss dann daraufhin so wörtlich, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter dezimieren zu lassen. Er wies seine Offiziere an, jeden Abend eine bestimmte Anzahl von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern zu erschießen und reiste danach dann wieder ab. Und das haben dann seine Offiziere reihum, jeder durfte sozusagen eine Exekution verantworten, das haben seine Mitarbeiter dann auch gemacht. Und sie haben dann an drei verschiedenen Orten in einer Geheimaktion insgesamt 208 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erschossen.

• 4:31 - 5:07

Man muss sagen, dass diese Divisionen eine ganz spezielle Division war. Es war eben die Division zur Vergeltung, die bis März 45 die sogenannte Vergeltungswaffe abschoss, nämlich die V2-Raketen. Und dieser Stab in Suttrop befehligte eigentlich diese technischen Einrichtungen und war auf diese Sache gar nicht vorbereitet, sodass es auch einen gewissen Widerstand gab. Aber es ist schwierig, das eben abzugrenzen von den Verteidigungsstrategien, wo man sagt, man habe sich geweigert, vor Gericht, um das zu behaupten, dass man eigentlich unschuldig sei oder einen sogenannten Befehlsnotstand gehabt habe.

• 5:08 - 5:42

Aber diese Taten sind eben verübt worden und es sind dabei nicht nur Erwachsene ermordet worden, wo man ja noch hätte annehmen können, dass sie geplündert hätten. Aber das ist eben nicht so. Man hat sie wahllos aus den Lagern herausgeholt und darunter auch zwei Kinder, einen etwa 5/6-jährigen Jungen. Das kann man nicht so genau mehr sagen. Aber auch einen Säugling, den man dann erschlagen hat, weil sich selbst die Mannschaft geweigert hat, dieses Kind, was man bei der toten Mutter in der Erschießungsgrube gefunden hat, selbst zu erschießen.

• 5:42 - 5:45

Kathrin Nolte: Die restlichen Opfer wurden dann per Genickschuss erschossen.

• 5:45 - 6:26

Markus Weidner: Also es wurden bis auf eben dieses Kind alle, die meisten per Genickschuss erschossen, sodass, das hört sich jetzt makaber an, ordnungsgemäß, so wie es geplant war, eben veranstaltet wurde. Es gab, weil diese Aktionen eben nicht wirklich ganz geordnet abliefen, gab es natürlich auch Fluchtfälle, sodass man dann auf die Flüchtenden geschossen hat, in der Absicht, sie eben zu treffen. Und es gab einen etwas größeren Zwischenfall, vermutlich bei der ersten Exekution, wo sich vorzeitig ein Schuss gelöst hat und die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter dann natürlich aufmerksam wurden und auf einmal merkten, was wirklich mit ihnen geschehen sollte.

• 6:27 - 6:47

Und da hat es dann ein ziemliches Durcheinander gegeben. Es sind mehrere Leute, haben mehrere Leute versucht zu fliehen und dann ist sozusagen wahllos das Feuer eröffnet worden aus Karabinern, Maschinenpistolen und normalen Pistolen. Und dieses können wir eben auch nachweisen, weil wir an verschiedenen Orten verteilt Munition gefunden haben.

• 6:47 - 7:00

Kathrin Nolte: Nicht alle Namen der Opfer sind bekannt. Bis heute nicht. Gibt es jetzt nach diesen verschiedenen Grabungen, die durchgeführt wurden, denn sozusagen neue Hoffnung, dass man doch noch Opfer namentlich identifizieren kann?

• 7:00 - 7:36

Markus Weidner: Also es war ja eine Geheimaktion und eine Geheimaktion bedeutet, man versucht nicht nur den Ort zu verschleiern und wo die Leichen hinterher liegen, was nicht so wirklich geglückt ist, sondern man versucht auch die Identität zu verschleiern. Man möchte ja nicht ermöglichen, dass man erfährt, dass es eigentlich unschuldige Zivilisten waren. Insofern hat man bei verschiedenen Aktionen gezielt diese Dokumente vernichtet. Also man hat die Leichen durchsucht, die Papiere genommen, verbrannt. Das Geld, was man gefunden hat, hat man in die Regimentskasse eingezahlt und die Kleidung hat man dann der Ortsbevölkerung gegeben.

• 7:38 - 8:12

Es ist insofern sehr schwierig gewesen. Es gibt einige Funde von Personalpapieren, die haben aber erst die Engländer gemacht, die die Leichen haben ausgraben lassen. Nur sind diese Informationen über die Identitäten der Ermordeten offenbar an den deutschen Behörden vorbeigegangen. Sie habe ich erst vor zwei Jahren in einem englischen Archiv gefunden, in der dortigen Ermittlungsakte. Andere wiederum andere Namen sind bei den Leichen 1964 gefunden.

• 8:12 - 8:47

Die wurden ja dann von den provisorischen Bestattungsorten exhumiert und dann auf den heutigen Grabort auf dem Friedhof Meschede gebracht worden. Interessanterweise hat man da auch noch einige Papiere gefunden, die also auch den deutschen Behörden wirklich vorlagen. Auch in einer geordneten Zeit, also nicht in der Nachkriegszeit, sondern definitiv in einer geordneten Verwaltungszeit, wo auch die Verwaltung wusste, was sie mit diesen Unterlagen zu tun hatte. Laut Kriegsgräbergesetz müssen alle Gräber namentlich gekennzeichnet werden, so man die Identität des Toten auch in irgendeiner Form nachweisen kann.

• 8:48 - 9:19

Das ist bei diesen Ausländern unterlassen worden. Das heißt, obwohl deutsche Behörden wussten, um welche Personen es sich handelt, sind diese Namen nicht in die Kriegsgräberliste eingetragen worden. Sie sind auch nicht insofern auf die Grabsteine gekommen. Und das Tragische an der ganzen Sache ist natürlich, dass diese Zwangsarbeiter ja eigentlich nur zufällig an dem Ort waren. Sie haben ja da nicht gewohnt und ständigen Briefverkehr gehabt, sondern sie sind ja aus dem Rheinland in dieser Krisensituation im März 45 nach Meschede bzw. nach Suttrop Warstein gebracht worden.

• 9:20 - 9:51

Das heißt also, wenn es vorher einen Briefkontakt zu den Angehörigen gegeben hätte, so gab es diesen insofern nicht. Sie wussten, die Angehörigen wussten also gar nicht, wo sich ihre Verwandten aufhalten. Und wenn man nun denen auch noch die Leichen, den Toten ihre Identität nimmt und diese nicht registriert, dann können also die Angehörigen auch nie erfahren, wo ihre Angehörigen bestattet liegen. Und das hat man mit Erfolg in den 60er Jahren geschafft, dass man eben weder an die entsprechenden Suchdienste die Informationen weitergibt, noch die Gräber kennzeichnet.

• 9:51 - 10:21

Und das führt natürlich, wenn man jetzt die andere Seite betrachtet, also schaut, was machen die Angehörigen, die nach diesen vermissten Personen von der Heimat aus suchen. Die melden sich auch bei einem Suchdienst und Fragen: Gibt es Informationen über die Angehörigen? Dann stellt man fest, diese Anfragen gab es tatsächlich und die deutschen Behörden haben dann immer wahrheitsgemäß natürlich geantwortet, sie hätten keine Unterlagen. Das heißt also, man nimmt ihnen nicht nur die Identität auf dem Friedhof, sondern nimmt auch den Angehörigen die Chance, diese Toten wiederzufinden.

• 10:22 - 11:13

Aufgrund der Forschung konnte ich insgesamt 16 Namen rekonstruieren. Da laufen auch zurzeit noch Klärungen. Es gibt einige Personen, nach denen auch gesucht wurde. Es gibt sogar Adressen von diesen, die auch heute noch bestehen, sodass wir also auch Möglichkeit haben, diesen Personen ein Gesicht zu geben und über das Schicksal aufzuklären. Tragisch ist aber auch, dass in diesem Rahmen der Erforschung des Zweiten Weltkrieges ja auch die Geschichte des Friedhofs im Ersten Weltkrieg mit sozusagen auf den Teller kam, weil die 201 Ermordeten sind ja auf einem alten Friedhof beerdigt worden, der von einem ersten, von einem Kriegsgefangenenlager aus dem Ersten Weltkrieg herrührt.

• 11:13 - 11:34

Und dort lagen noch 116 Russen aus dem Ersten Weltkrieg, die auch listenmäßig erfasst waren, auch in einer Kriegsgräberliste aber die seltsamerweise im Zweiten Weltkrieg und danach aus der Kriegsgräberliste verschwunden sind. Und bei meinen Recherchen über diesen Friedhof habe ich auch gesehen, dass die Leichen aus dem Zweiten Weltkrieg sehr merkwürdig auf diesen Friedhof verteilt worden sind.

• 11:34 - 12:05

Offenbar aus dem Grund, weil man wusste, wo die 116 toten russischen Kriegsgefangenen aus dem Ersten Weltkrieg liegen. Um diese Gräber eben nicht zu tangieren. Und nun stellte sich heraus, dass diese 116 Russen sozusagen in Vergessenheit geraten sind und aus diesen 116 Russen nur noch 16 Russen geworden sind. Und auch die anderen 100 sind, wie gesagt aus den Listen verschwunden, was sehr merkwürdig ist. Und im Rahmen dieser Arbeit können wir also auch diesen 116 Russen aus dem Ersten Weltkrieg ihre Identität wiedergeben.

• 12:06 - 12:18

Kathrin Nolte: Kommen wir noch mal zu den Mordaktionen zum Ende des Zweiten Weltkriegs zurück. Sind denn die Täter bekannt, also diejenigen, die tatsächlich geschossen haben? Kann man denen eine Identität zuordnen?

• 12:18 - 12:48

Markus Weidner: Es ist inzwischen so, dass ich nachweisen kann, dass schon 1945 einer der Täter bekannt war. Die Identität kannte auch die Gemeinde, kannte offenbar auch der Landkreis, kannten die Amerikaner. Es steht jetzt noch aus, zu untersuchen, inwieweit es wirklich amerikanische Untersuchungsergebnisse und Ermittlungsergebnisse gibt. Zumindest kann man sagen, dass man bei der Suche nach den Tätern die Engländer, die ab 46/ 47 ermittelt haben, zum Teil in die Irre geführt hat.

• 12:48 - 13:22

Zum Teil aber auch sind sie konfrontiert worden mit einer Art Schweigekartell. Jeder in dem Ort kannte diese Massenhinrichtungen, diese Massenerschießungen. Man brachte das auch mit manchen Leuten in Verbindung. Aber erst Mitte der 50er Jahre, als aufgrund einer anonymen Anzeige diese Ermittlungen bei deutschen Behörden in Gang kamen. Erst ab 55 hat man dann versucht, in einer Art Schneeballsystem ausgehend vom damaligen Bürgermeister überhaupt klar zu bekommen, welche Einheiten dort stationiert waren und wer damit in Verbindung gebracht werden könnte.

• 13:22 - 13:57

Man hat dann über verschiedene Kanäle versucht, auch an Augenzeugen zu kommen. Man hat dann versucht, über eben dieses schon angesprochene Schneeballsystem einzelne Angehörige namhaft zu machen. Man hat sich da sehr viel Mühe gegeben. Man hat in ganz Deutschland ermittelt. Interessant ist, dass man dann den harten Kern tatsächlich auch gefunden hat. Der Auftraggeber, der Hans Kammler, hatte sich durch Suizid der weiteren Verfolgung im Mai 45 in Prag oder bei Prag der Verantwortung entzogen.

• 13:57 - 14:37

Aber die Personen, die man diesem Massaker zuordnen kann, hat man tatsächlich gefunden. Es ist ein wenig schwierig, dann diese Ermittlungen weiter zu verfolgen. Sind etwa 10.000 Blatt Papier, die im Rahmen dieser Ermittlungen zwischen 55 und bis zum Ende des Prozesses der Prozesse 62 dann beschrieben worden sind, wirklich einen roten Faden zu finden. Es ist auch für Historiker schwierig. Wir sind ja keine Kriminalisten, die jetzt nun irgendwelche Mörder suchen. Aber man sieht schon sehr große Auffälligkeiten in diesen Ermittlungsprotokollen, auch in den Vernehmungsprotokollen, wenn man sich das differenzierter anschaut.

• 14:38 - 15:24

Wir können also insgesamt die Haupttäter namhaft machen. Bei einem Täter ist es ganz interessant, ich vermute, dass er der Haupttäter von Suttrop war, also der dritten Erschießungsaktion. Der hatte nämlich seit einigen Jahren schon eine Einbürgerung in die USA betrieben. Hielt sich auch in den USA auf und ist dann gegen Zusicherung der Straffreiheit zum Teil erster Klasse nach Deutschland geflogen worden. Hat dann an diesem Prozess teilgenommen, ist auch schwer belastet worden während dieses Prozesses, durfte aber dann wieder frei ausreisen und er scheint dort 1990 gestorben zu sein. Hat also offenbar sein Einbürgerungsverfahren erfolgreich bestreiten können.

• 15:25 - 16:00

Ich kann jetzt nicht im Einzelnen auf die Situation der juristischen Aufarbeitung damals eingehen, auch auf die Situation der Gerichte und überhaupt die Verhandlungsart. Das ist schon ein wenig komplex, aber so viel kann man sagen. Man hat die Täter sehr geschont. Sie sind nicht wegen Mordes verurteilt worden, sondern nur einige wegen Totschlags. Es gab dann Revision, dann gab es neue Prozesse, aber diesmal nicht in Arnsberg, sondern in Hagen, wo einer der Täter dann auch zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist.

• 16:00 - 16:06

Aber insgesamt kann man sehen, dass die Täter durchaus geschont worden sind.

• 16:06 - 16:19

Kathrin Nolte: Jetzt liegt das alles schon etliche Jahre zurück, die Ereignisse. Trotz alledem: Wie sollte man an die Mordaktionen, die damals passiert sind, vonseiten der Nationalsozialisten, wie sollte daran erinnerungskulturell heute noch gedacht werden?

• 16:20 - 16:55

Markus Weidner: Also als erstes schreibt man als Historiker ja ein dickes Buch. Das soll hoffentlich auch bald erscheinen, denn es gilt, diese verschiedenen Stränge, Handlungsstränge zu bündeln. Wenn man jetzt ausgeht von den Toten, die auf dem Friedhof lagen oder noch liegen, dann betrifft das ja nicht nur die Situation im Ersten Weltkrieg, also die Situation der dortigen Kriegsgefangenen und auch das Kriegsgefangenenlager, es war ein riesen Kriegsgefangenenlager. Sondern eben auch die Zwischenkriegszeit, also die Frage: Wie gehen deutsche Behörden dann mit ausländischen Kriegstoten um?

• 16:56 - 17:36

Dann kommt das große Kapitel über den Zweiten Weltkrieg. Es lagen oder es liegen ja dort immer noch Zwangsarbeiter, die dort in den örtlichen Betrieben gearbeitet haben. Neben denjenigen, die dann zwei, die dann in den 1940er- und 1960er-Jahren dorthin umgebettet worden sind. Und dann beginnt natürlich die große Frage: Wie geht man […] Wie ging die Gemeinde gegen die Stadt Meschede, wie ging die Stadt Warstein mit diesen Toten dann um? Also das alles ist ein riesen Komplex, ein großes Bündel und ich denke diese Fäden einfach mal aufzuarbeiten und zusammenzuführen, das ist schon ein ganz wesentlicher, ein ganz wesentliches Ziel dieser Aktion.

• 17:36 - 18:25

Aber mir ist es auch wichtig, diese verschiedenen Orte miteinander zu verknüpfen. Wir haben ja verschiedene Erschießungsplätze, die wir bislang geheim gehalten haben, weil wir keine Raubgräber dort haben wollten. Jetzt ist ja alles ausgegraben. Wir können also diese Orte auch kennzeichnen. Mir schwebt vor, dass man dort kleine Tafeln vielleicht mit einem QR-Code anbringt, also sowohl an den verschiedenen Orten, wo sie hergekommen sind, als auch dort, wo das Hauptquartier war, als auch die entsprechenden Friedhöfe und die Erschießungsorte. Dass man sie kennzeichnet und im Rahmen zum Beispiel eines Internetprojektes diese verschiedenen Stränge noch mal bündelt, zusammenführt, interaktive Karten, auch Filme und dergleichen anbietet, um so eine Art Erinnerungsnetzwerk zu schaffen.

• 18:26 - 18:59

Ein wesentlicher Zweck dieser Aktion ist auch, dass ich gesehen habe, dass in Suttrop noch sieben Gräber auf dem ehemaligen provisorischen Friedhof vorhanden sind. Der Friedhof ist zwar geschlossen worden, aber man kann ganz klar nachweisen, dass dort immer noch sieben Leichen liegen. Sieben Tote aus dieser Erschießungsaktion und mit denen muss man irgendwie umgehen. Diesen relativ nicht gepflegten Ort, weil es ist ja keine Grabanlage, sondern einfach nur eine Wiese mit Gestrüpp drauf.

• 18:59 - 19:35

Da muss man eben schauen, was wir nun machen. Ganz wesentlich aber ist und ganz wichtig für mich ist dieser Punkt, der […] Das LWL-Institut ist ja gebeten worden, die Stadt Meschede bei der Neugestaltung dieses Friedhofs, auf dem die 201 Toten liegen, beratend tätig zu sein. Man muss sich den Friedhof so vorstellen. Das ist eine ganz schöne Rasenfläche mit ein paar niedrigen Grabsteinen. Und darauf sind verteilt Tafeln, auf denen so sinngemäß steht: Hier liegen soundso viele sowjetische Bürger, die in der schweren Zeit fern der Heimat starben.

• 19:36 - 20:14

Das ist ein sehr verschleiernder Text für eben diese 201 ermordeten Personen, die dort liegen. Man hat auch nicht davor zurückscheut auch noch ein falsches Jahresdatum dort anzugeben. Nämlich die Zeit 1941 bis 1945, obwohl man ja fast auf den Tag genau weiß, wann diese Personen ermordet worden sind. Also man hat alles getan, um diese Tat zu verschleiern. Zum Teil sind die Steine auch sehr schlecht erhalten. Wir haben dort etwas sehr Einzigartiges, einen sowjetischen Obelisken stehen, der von einem der provisorischen Gräber aus Suttrop sozusagen gerettet worden ist.

• 20:14 - 20:46

Weil eigentlich wollte man diese Dinger loswerden, ist ein roter Stern drauf und eine Flagge mit den Initialen der UdSSR. Das hat man hinterher entsorgt. Aber der Stern und der Obelisk, die sind erhalten geblieben. Und der ist sehr angegriffen, der muss dringend restauriert werden. Und wie gesagt, diese Kontextualisierung dieser Orte der Gräber und die Restaurierung dieses Obelisken, das ist sozusagen eine ganz wesentliche Maßnahme, die jetzt in der nächsten Zeit noch erfolgen soll. Und dafür ist diese historische Erforschung wirklich wichtig.

• 20:46 - 20:48

Kathrin Nolte: Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Weidner: Gern.