Heimkinder und Heimerziehung in Westfalen 1945-1980
Bearbeiter: Matthias Frölich
Im Frühjahr 2003 lief der Film „Die unbarmherzigen Schwestern“ von Peter Mullan in deutschen Kinos an. 2006 veröffentlichte der Spiegel-Autor Peter Wensierski sein Buch „Schläge im Namen des Herrn“. Angestoßen von diesen medialen und publizistischen Impulsen rückte das Schicksal von Heimkindern in der frühen Bundesrepublik erstmals seit der „Heimkampagne“ der „68er“ wieder in das öffentliche Bewusstsein. Ehemalige Heimkinder, die zwischen Kriegsende und den 1970er Jahren in westdeutschen Heimen untergebracht waren, berichteten seitdem in Presse, Radio und Fernsehen über Lieblosigkeit, Misshandlungen, sexuelle Gewalt, harte Arbeit und nichtige Einweisungsgründe. Sie beklagten fehlende Bildungsangebote im Heim und mangelnde Vorbereitung auf das Berufsleben. Der Bundestag richtete einen Runden Tisch ein, der Ende 2010 die Gründung eines Fonds zur Unterstützung ehemaliger Heimkinder beschloss.
Ziel des Forschungsprojektes unter dem Arbeitstitel „Heimkinder und Heimerziehung in Westfalen 1945-1980“ war es zunächst, in Form einer kommentierten Quellensammlung die Geschichte der Heimerziehung im Verantwortungsbereich des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom Kriegsende bis in die 1970er Jahre am Beispiel Westfalens nachzuzeichnen. Dabei ging es zum einen um die Einordnung in den historischen Kontext, zum anderen um die Darstellung der konkreten erzieherischen Praxis, des Heimalltages und der Lebenssituation der Heimkinder. Zudem sollte die Quellensammlung die Einbettung des Themas in die Geschichte der Bundesrepublik, die von den „68ern“ forcierte kritische Auseinandersetzung mit und innerhalb der Heimpädagogik und die damit einhergehenden Wandlungsprozesse beschreiben. Die aus 170 ausgewählten Dokumenten und vier Interviews bestehende Edition ist inzwischen als Bd. 66 der Forschungen zur Regionalgeschichte erschienen: Matthias Frölich (Hg.), Quellen zur Geschichte der Heimerziehung in Westfalen 1945-1980, Paderborn 2011.
Bei den Arbeiten an der Quellensammlung wurde zunehmend deutlich, dass eine tiefergehende Untersuchung der Heimerziehung in der Bundesrepublik, die der Komplexität des Themas gerecht wird, die ein differenziertes Bild zeichnet und auch Modernisierungsprozesse und Wandel nachvollziehbar macht, nur durch eine Regionalstudie in Form einer Monografie zu leisten ist. Eine solche Detailstudie, die auch der Verantwortung zur gründlichen Aufarbeitung gegenüber den ehemaligen Heimkindern nachkommt, bleibt für den Raum Westfalen ein Desiderat der Forschung. Diese Lücke zu schließen, ist das Ziel des an die Quellensammlung anschließenden Dissertationsprojektes, das derzeit in Bearbeitung ist.